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Auf Wurzelsuche oder: Heimat ist mehr als ein Ort

Zum Treffen der Siebenbürger aus Deutsch-Kreuz am 13. Oktober in Dinkelsbühl

„Die Wurzel versorgt den Pflanzenkörper mit Wasser und Nährsalzen, außerdem verankert sie die Pflanze im Boden und wirkt in manchen Fällen auch als Speicherorgan“. (http://www2.vobs.at/bio/botanik/b-wurzel.htm)

Als meine Schwester Anna und ich um 16 Uhr die Treppen des Schrannenfestsaals im Herzen Dinkelsbühls hinaufgingen und schon die Blasmusik hörten, wussten wir nicht so recht, was uns beim Treffen der Siebenbürger aus Deutsch-Kreuz erwarten würde. Wir wussten so wenig über unsere Wurzel namens Siebenbürgen, diesen Ort, an dem unsere Mutter ihre Jugend verbracht hatte. Auf der Fahrt ins bayerische Kleinstädtchen Dinkelsbühl hatte ich versucht, mir irgendeine historische Tatsache ins Gedächtnis zu rufen. Wo in Rumänien lag Siebenbürgen eigentlich genau? Wann waren die meisten Deutsch-Kreuzer nach Deutschland gekommen? Wie viele Menschen hatten in Deutsch-Kreuz gelebt? Meine Geschwister und ich waren nie dort gewesen; letztendlich war es nicht unsere Heimat gewesen und die wenigen Erzählungen unserer Verwandten, die ich erinnern konnte, waren eben keine eigenen Erinnerungen gewesen. Unser Großvater Tinn war schon lange tot und auch unsere Siebenbürger Omama war vor einigen Jahren gestorben. Unsere Wurzel lag jahrelang friedlich unter fester Erde und der einzige Bezug zu Siebenbürgen war vor allem kulinarischer Art gewesen: Hanklich und Walnussstollen hatte ich immer geliebt! Deshalb war ich hocherfreut, diesen von Familienfesten altbekannten Köstlichkeiten auch im Festsaal zu begegnen. Viele Menschen hatten auch andere gebackene Delikatessen mitgebracht, die in Schüsseln und auf Tellern auf den Tischen standen und großzügig verteilt wurden.

Mir fiel auf, dass einige Leute Trachten trugen, die mich ein wenig an bayerische Dirndl erinnerten, jedoch durch einen breiten Gürtel, Stickereien und Spitze aufwändiger wirkten. Trotz Blasmusik und fremden Menschen fühlte ich mich auf Anhieb wohl, was sicher daran lag, dass uns alte Bekannte unserer Mutter sowie unsere Tischnachbarn und Verwandten mit der uns von unserer Mutter wohlbekannten herzlichen und offenen – wohl typisch siebenbürgerischen – Art begegneten. Auch die Sprache war mir wohlbekannt, auch wenn man sich als „Nichtsprecherin“ immer stark konzentrieren muss, wenn man alles verstehen will. Der einzige Satz, den ich auf Siebenbürger Sächsisch so einigermaßen korrekt aussprechen kann, ist: „Wat mauchste“? Wir übten ein wenig, während wir viel zu viele Stücke Nussstollen aßen und amüsierten uns köstlich über unsere Sprechversuche.

Nachdem die Musikkapelle zum Abschluss kam, wurde Tanzmusik gespielt. Die Tanz- und Singfreude der Siebenbürger war uns durch diverse Familienfeste wohlbekannt (und uns durch unsere Mutter ebenfalls vererbt worden), und auch an diesem Abend gab es bereits beim ersten tanzbaren Lied kein Halten mehr. Während man von anderen Tanzveranstaltungen eher leere Tanzflächen und schüchterne Tanzversuche am Rande der Fläche gewöhnt ist, musste man hier aufpassen, überhaupt noch ein freies Plätzchen zum Tanzen zu finden. Unsere Mutter sahen wir den ganzen Abend nur noch als blauen Punkt in der Ferne auf der Tanzfläche und auch uns wurde dank überraschend vieler Gesprächspartner und tanzfreudiger Herren nicht langweilig. Selbst unsere betagte Großtante rockte kräftig mit und spätestens bei der Polonäse stürmten alle Tanzwütigen die Fläche.

Besonders beeindruckt hat uns an diesem Abend ein Film, der während des Abendessens gezeigt wurde. Ein Siebenbürger Filmemacher, der erst vor kurzem verstorben ist, hatte Anfang der Achtziger Jahre seine persönlichen Eindrücke von seiner Heimat Deutsch-Kreuz per Superacht-Kamera festgehalten und die Deutsch-Kreuzer Traubenernte gefilmt. Ohne Ton, aber mit Vivaldis Musik unterlegt erschienen Bilder von Menschen, die bei einer für sie gewohnten Tätigkeit fast ein wenig verlegen schienen, gefilmt zu werden; auch Menschen, die so versunken in das Pflücken der Trauben waren, dass sie die Kamera nicht bemerkten. An diesem Erntetag war es sonnig gewesen und die Kamera schwenkte über sanfte Hügel und Wiesen und blieb immer wieder an einzelnen Menschen hängen, lachende oder konzentrierte Gesichter, die von den Gästen um uns herum stets kommentiert wurden: „Das ist mein Sohn“ oder „Das ist meine Großmutter“. Es wurden Szenen gezeigt, die für viele Anwesenden einst zu ihrem eigenen Alltag gehört hatten und die für die Menschen im Film offensichtlich völlig selbstverständlich waren. Was uns dabei besonders beschäftigte war der Gedanke, dass sich viele Siebenbürger damals wohl nicht hatten vorstellen konnten, ihre Heimat eines Tages nur noch als Video auf einer Leinwand erleben zu können. Fühlten sich die ehemaligen Deutsch-Kreuzer nicht völlig entwurzelt? Doch man sah nirgendwo ein trauriges Gesicht oder Tränen angesichts dieser Bilder aus der Vergangenheit, ganz im Gegenteil. Aber vielleicht ist es für die Deutsch-Kreuzer eben so, wie es auch der Pfarrer im Gottesdienst gesagt hatte: Zu Hause ist viel mehr als ein Ort. Das Gefühl zu Hause zu sein lebt vor allem von den Menschen, denen du begegnest. Wir hatten auf jeden Fall den Eindruck, dass sich alle Anwesenden (vielleicht auch wir?) an diesem Tag in Dinkelsbühl zu Hause fühlten.

 

Von Anna-Maria und Alexandra Groß

 

veröffentlicht am: 23.11.2012 | von: juergen.eichner

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Kommentar

Für unser Deutsch-Kreuzer Treffen war die Anwesenheit der Jugendlichen Anna-Maria und Alexandra Groß eine Bereicherung. Besonders schön fand ich, dass sie sagen konnten alle Anwesenden fühlten sich wie zu Hause.Die heimatliche Verbundenheit war präsent.